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Häuserliste
Großmannstraße 16
04177 Leipzig-Lindenau
1925, 1926
Eigentümer des unbebauten Grundstückes sind die Zimmermeister R. und H. Jurisch, Leipzig, Hallische Str. 161.
1930
Das noch unbebaute Grundstück ist Lagerplatz.
1931
Als Eigentümer des Hauses Großmannstraße 16 ist im Leipziger Adressbuch der Arzt Dr. Max Prochownik eingetragen. Er wurde am 16. Oktober 1884 als Sohn eines polnisch-jüdischen Kaufmanns in Zirke, einer kleinen Stadt in der preußischen Provinz Posen, geboren. Nach dem Medizinstudium in Leipzig, Freiburg im Breisgau und Berlin sowie der Veröffentlichung seiner Dissertation "Die Hautkrankheiten der Ohrmuschel" im Jahre 1910 eröffnete er eine private Arztpraxis in Leipzig (Gundorfer Straße 42).
1931-1938
Lebte und praktizierte Dr. med. Max Prochownik hier in seinem eigenen Haus Großmannstraße 16. Mieter in der 2. Etage ist der Schlosser Karl Scharf.
1938
Aufgrund der nationalsozialistischen "Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden" vom 26. 4. 1938 wird bei der Reichsbankhauptstelle Leipzig auch Vermögen von Dr. Max Prochownik erfasst.
1939
Neuer Hausbesitzer der Großmannstr. 16 ist jetzt der Arzt Dr. med. Ernst W. Dörffel. Mieter in der 2. Etage ist weiterhin Karl Scharf (Beruf 1939: Einrichter, 1941: Schleifer).
Dr. Max Prochownik ist nicht mehr im Leipziger Adressbuch eingetragen. Arzt Dr. med. Ernst W. Dörffel wohnte noch 1938 in der Leipziger Ferdinand-Rhode-Straße 37, 2. Etage.
1946-1969
Aus dem jahrelangen Briefwechsel der Nichte Alice Seiffert mit ihrem Onkel Dr. Max Prochownik geht hervor, dass er (1938?) zunächst nach Shanghai emigrierte. Max Prochownik eröffnete dort, wie zuvor in Leipzig, eine private Arztpraxis, in der er vor allem jüdische Emigranten behandelte. Die Chinesen weigerten sich, zu ihm zu kommen, sie hatten ihre eigenen Ärzte. Nach der Gründung des Staates Israel wohnte er in einem Altersheim in Netanja/Nathania, Israel. Seine Verwandten lebten inzwischen in England, den USA, Afrika, Deutschland, Australien, Schweden und im Iran.
[Alice Seiffert (geb. 26. August 1897 in Leipzig - gest. 17. März 1976 ebenfalls in Leipzig), geborene Cohn, war jüdischer Herkunft. Ihr Vater David Cohn und ihre Mutter Gertrud Cohn geb. Prochownik (geb. am 18. Mai 1872 in Zirke) wurden aufgrund ihrer jüdischer Herkunft in das KZ Theresienstadt verschleppt und sind dort beide umgekommen. Ihrem Bruder Kurt gelang es, nach einer kurzen Haftzeit in Buchenwald über England nach Australien zu emigrieren. Auch Alice Seiffert, geborene Cohn, und ihr nichtjüdischer Ehemann, Hans Seiffert (1898 - 1964), wurden während der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt. Nachdem die Nationalsozialisten ihnen die Wohnung und das Vermögen genommen hatten, zwangen sie das Ehepaar, in ein Judenhaus umzuziehen. Parallel zur Enteignung fand die Rekrutierung zur Zwangsarbeit statt: Ab 1942 verrichtete Alice Seiffert schwere körperliche Arbeit in einem Betrieb der Metallindustrie. Ihren Mann brachte die Gestapo im November 1944 in ein Arbeitslager der Organisation Todt. Am 14. Februar 1945 wurde Alice Seiffert mit dem letzten Transport von Leipzig ins Konzentrationslager Theresienstadt deportiert. Sie überlebte das Ghetto. Erst 1950/1951 wurde dem Ehepaar die Anerkennung als Verfolgte des Naziregimes (VdN) zugesprochen. In der DDR arbeiteten beide freiberuflich an Übersetzungen, vor allem von französischer, englischer und spanischer Belletristik. Hans Seiffert gehörte zu den Mitbegründern des ersten Leipziger Kabaretts nach 1945, "Die Rampe".]
Am 4. Januar 1969
starb Max Prochownik nach einem kurzen Krankenhausaufenthalt in Israel. Seinem letzten Willen entsprechend verwandte die Hilfsorganisation American Jewish Joint Distribution Committee (Joint) in Jerusalem den größten Teil des Vermögens zur Einrichtung eines Stipendiums für werdende Krankenschwestern, die ihre Ausbildung an der Universität in Tel Aviv genossen. Einen kleineren Teil sollte seine Nichte Alice Seiffert erhalten. Als Bürgerin der DDR war ihr der Zugriff auf das Geld jedoch verwehrt, weshalb sie den Betrag spendete: "In der Angelegenheit des Legats, das mein Onkel mir in seinem letzten Willen ausgestellt hat, möchte ich folgendes vorschlagen. Da ich kaum einen Weg sehe von hier aus an die [...] Beträge heranzukommen, wäre es wohl am besten, sie dem [...] Altersheim in Nathanya zuzuwenden, in dem mein Onkel während seiner letzten Jahre gelebt hat."
Quellen/Literatur/Weblinks:
- Leipziger Adressbuch 1931, 1933/1933, 1938, 1939/1939, 1941
- Sächsisches Staatsarchiv, Staatsarchiv Leipzig, Bestand 21824 Nachlass Alice und Hans Seiffert, Nr. 64: Genehmigungsschreiben der Landesregierung Sachsens zur Einreise von Max Prochownik nach Deutschland vom Januar 1949
- Sächsisches Staatsarchiv, Staatsarchiv Leipzig, Bestand 21824 Nachlass Alice und Hans Seiffert, Nrr. 71-75: Persönliche Briefe von Max Prochownik aus Nathania, Israel, an Alice Seiffert von 1946-1969
- Sächsisches Staatsarchiv, Staatsarchiv Leipzig, Bestand 21033 Reichsbankhauptstelle Leipzig mit Nebenstellen, Nr. 1510: Zwangsanbietung von Wertpapieren jüdischer Bürger aufgrund der Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden vom 26. 4. 1938. Enthält: u. a. Dr. Max Prochownik
- Diamant, Adolf: Chronik der Juden in Leipzig. Aufstieg, Vernichtung und Neuanfang. Verlag Heimatland Sachsen, Chemnitz, Leipzig 1993. XII, 836 S., S. 416: Aufstellung der jüdischen Ärzte und Zahnärzte in Leipzig um 1933. (Aus dem Archiv der Israelitischen Religionsgemeinde zu Leipzig)
- Niether, Hendrik: Briefe von Onkel Max. Schreiben aus dem Exil nach Leipzig, zwischen Shanghai und der SBZ, Israel und der DDR 1945-1969. In: Medaon - Magazin für jüdisches Leben in Forschung und Bildung, Dresden, 4. Jg., 2010, Nr. 6, S. 1-20 [19.4.2010]: betr. den Briefwechsel zwischen Max Prochownik und Alice Seiffert
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